Jedes Jahr im April steht das Thema Stress im Mittelpunkt. Eine gute Gelegenheit, kurz innezuhalten und über ein Wort nachzudenken, das wir ständig verwenden, oft ohne wirklich darüber nachzudenken: Stress.
Neulich beim Packen für die Schule sagte meine 7-jährige Tochter ernsthaft, sie sei „gestresst“. Auf meine Frage warum, meinte sie: „Ich hab Angst, was zu vergessen.“ Das hat mich nachdenklich gemacht. Schon mit sieben Jahren sprechen wir vom Stress, als wäre es völlig normal. Dieses Beispiel zeigt, wie sehr sich das Wort abgenutzt hat – und damit auch seine eigentliche Bedeutung.
Das Problem ist doppelt: Zum einen nehmen wir die wahren Signale unseres Körpers oft gar nicht mehr wahr. Zum anderen verarmen wir emotional, weil wir alles „Stress“ nennen, auch Angst, Frust, Überforderung oder sogar freudige Aufregung. „Kein Stress“ ist zu einer Floskel geworden, die wir sogar statt eines einfachen „Danke“ verwenden: „Kannst du mir die Datei schicken?“ – „Klar“ – „Kein Stress“. Manchmal fragt man sich dann fast schon: Müsste ich denn eigentlich gestresst sein?
Stress: Nicht nur ein emotionaler Preis
Chronischer Stress ist ernst. In der Schweiz hat schon jede:r Dritte im Lauf des Berufslebens einen Burnout erlebt. Und Stress kostet die Schweizer Wirtschaft jährlich 19,6 Milliarden Franken, laut dem Mind Health Report, Switzerland 2024 (AXA-Studie). Eine Zahl, die nachdenklich stimmt.
Und wie steht es um die Arbeit?
Arbeit kann Sinn stiften, Identität geben und das Selbstwertgefühl stärken. Doch wenn der Druck dauerhaft wird, die Erwartungen unklar sind oder das Umfeld belastend ist, droht der Burnout. Dann wird aus einer erfüllenden Aufgabe eine Quelle von mentaler, emotionaler und körperlicher Erschöpfung.
Was heisst „Stress“ eigentlich konkret?
Hier ein paar Warnsignale:
• Unruhe, Reizbarkeit, ständige Nervosität.
• Schwierigkeiten, sich zu konzentrieren oder häufige Vergesslichkeit.
• Schlafprobleme, wiederkehrende körperliche Beschwerden.
• Änderungen beim Essen oder erhöhter Konsum von Substanzen, um „durchzuhalten“.
Wenn Sie hier mehrere Punkte wiedererkennen, lohnt sich ein genauerer Blick.
Lernen, mit Stress zu leben (statt ihn zu bekämpfen)
Seien wir realistisch: Stress komplett aus unserem Leben zu verbannen, ist ungefähr so glaubwürdig wie ein Tag ohne Smartphone-Benachrichtigungen. Er gehört dazu – und kann uns manchmal sogar beflügeln. Entscheidend ist, ihn zu erkennen, zu verstehen und klug zu steuern. Hier ein paar einfache Strategien:
• Regelmässig Pausen einlegen, um durchzuatmen, spazieren zu gehen, abzuschalten.
• Prioritäten setzen und „Nein“ sagen, wenn nötig.
• Grosse Aufgaben in kleine Schritte unterteilen.
• Um Hilfe bitten – niemand wird Sie deswegen verurteilen.
• Sich selbst für kleine Fortschritte loben.
Mentale Gesundheit ist Teamsache
Wenn es einem Teammitglied schlecht geht, spürt das ganze Team die Folgen: mehr Belastung, mehr Spannungen, weniger Orientierung. Mentale Gesundheit ist also keine rein private Angelegenheit, sondern auch eine Frage des Miteinanders. Zuhören, unterstützen, zusammenarbeiten: Das ist gefragt.
Vielleicht ist der April also ein guter Zeitpunkt, um einmal bewusst zu hinterfragen, was wir meinen, wenn wir „gestresst“ sagen und stattdessen aktiv für unser Wohlbefinden zu sorgen?
Emilie Del Do
Expertin für Stress- und Burnout-Management